Es ist dunkel hier.
Ziemlich dunkel, und ziemlich langweilig.
Wie lange sind wir eigentlich schon hier?
So lange ich denken kann. Im Grunde, seit wir so etwas wie Zeit erfunden haben. Geholfen hat es bisher nicht.
Es ist höchste Zeit, endlich etwas zu verändern. Aber was?
Darüber haben wir schon so oft gesprochen – und hängen immer noch im Dunkeln fest. Es müsste etwas sein, wo es etwas anderes als Dunkel gibt. Kannst du dir so etwas vorstellen?
Außerdem sollte es mehr Platz geben, viel mehr Platz. Ich habe es satt, es ist so eng.
Kein Dunkel und mehr Platz. Versuchen wir das mal. Es ist schwierig, wenn man so etwas vorher noch nicht gehabt hat. Wir brauchen die Existenz von etwas ganz Neuem.
„Existenz“ – ein toller Begriff. Ich glaube, du hast ihn erfunden, als wir die Zeit existieren ließen.
Tja, und seitdem ist es langweilig. Ob es eine gute Idee war? Ohne Zeit keine Langeweile.
Versuchen wir eben, daran anzuknüpfen und mehr Existenz zu schaffen. Ich möchte etwas, das nicht dunkel ist. Und das nennen wir dann – „Licht“.
„Licht?“ Klingt komisch.
Auch nicht komischer als „Zeit“.
Na gut, du warst dran mit Wort aussuchen. Und wie funktioniert dieses „Licht“?
Es ist eben das Gegenteil von Dunkelheit. Ich stelle es mir so vor, dass – es gibt eine Quelle für das Licht, und von dort aus vertreibt es die Dunkelheit.
Und wie macht es das?
Es – sendet Teilchen aus. Die beseitigen die Dunkelheit, wenn sie irgendwo auftreffen.
Dazu müssten sie erst mal irgendwo auftreffen können, das anderswo ist als da, wo sie herkommen.
„Anderswo.“ Eine interessante Vorstellung. „Hier“ und „anderswo“.
„Hier“ so wie „Heute“?
Ja, nur nicht in der Zeit, sondern – in dem eben, wo deine Teilchen nach anderswo hin hüpfen.
Besser, sie hüpfen nicht, sondern – bewegen sich gleichmäßig.
Wir müssen Platz haben für diese Bewegung.
Endlich wird es spannend – konzentrieren wir uns also.
WOW! Plötzlich ist viel Platz. Wie nennen wir das?
„Raum“ klingt gut, kurz und knackig. Und auf jeden Fall eine ganz anderer Klang als „Licht“ oder „Zeit“.
Faszinierend, dieser Raum.
Es ist auch schon eine Lichtquelle da. Aber die Teilchen bewegen sich noch nicht, deswegen kannst du nichts erkennen.
Die Teilchen sollten sich doch irgendwohin bewegen.
Ja, so war es gedacht. In alle Richtungen. Damit meine ich jede Möglichkeit, sich in unserem Raum zu bewegen. Und die beste Idee ist: das Licht trifft auf einen Existenz-Klumpen.
Was ist das denn?
Na, das ist wieder ein großer Haufen Teilchen, könnte ich mir denken. Und die Licht-Teilchen kommen dort an und dann leuchtet es eben da auch.
Klingt wahnsinnig spannend. Endlich etwas Neues. Gehen die Licht-Teilchen einfach entlang der Richtung?
Vielleicht schwingen sie auch, auf und ab. Wellenartig.
Wellenartig? Gut. Einfach geradeaus ist zu langweilig, ich will endlich was erleben.
Legen wir los.
Das haut mich glatt um.
Es ist so unglaublich schön!
Das war die beste Idee, seit wir die Zeit erfunden haben. Endlich können wir etwas Sinnvolles mit ihr anfangen. Der Existenz-Klumpen strahlt in der Dunkelheit und ich könnte ihn die ganze Zeit über einfach nur anstarren. Wie hast du die Lichtquelle gemacht?
Auch ein Existenz-Klumpen, er kann aber Licht-Teilchen senden.
Wir sollten auch ein Wort für die Existenz-Klumpen haben, das klingt so wenig elegant. Etwas mit einem Buchstaben, den wir noch nicht haben – M finde ich schön. Mi – Mu…
Mu ist blöd.
Ma – Materie finde ich schön.
Das klingt bedeutungsvoll. Wir könnten finde ich größere Klumpen machen – Verzeihung, Materie-Haufen. Die, die Licht machen, und die anderen, wo das Licht ankommt.
Großartig! Lass uns den Raum voll hängen mit Materie-Haufen… ein paar hier und einige dort drüben…
Der leuchtet, der leuchtet nicht… der leuchtet, der leuchtet nicht…
Toll sieht das aus. Das spannende ist der Wechsel von Licht und Schatten. Ich habe einen ganz runden Haufen gemacht. Auf der einen Seite von meiner Kugel ist Licht, auf der anderen Schatten. Ich könnte hier mal ein bisschen drehen – jetzt wandert der Schatten….
Deine Kugel ist hübsch. Sie sollte auch einen Namen haben. Planat wäre nett.
Planett aber auch nicht schlecht.
Hm – wie wäre Planet?
Einverstanden. Er sieht besonders schön im Licht aus, wenn du ihn drehst.
Ja, nicht wahr? Ich könnte den ganzen Tag so drehen und das Licht beobachten… die leuchtenden Haufen sollten auch Namen haben. Einen speziellen. Ich bin für Sonne.
S am Anfang ist gut, aber ich will lieber Stern.
Sonne ist besser.
Stern klingt eleganter.
Dann eben beides.
Wir sollten noch viel mehr davon haben, Planeten und Sonne-Sterne, ganz viele…
Den ganzen Raum voll, wir sollten nichts aussparen! Jetzt, wo wir einmal angefangen haben, keine halben Sachen.
Es ist irgendwie endlos. Langsam frustriert es mich.
Wie groß hast du den Raum denn gemacht?
Er hat kein Ende. Er ist einfach da.
Das hättest du auch früher sagen können – dann können wir nicht fertig werden. Egal, wie wir uns anstrengen.
Jetzt haben wir schon so lange Planeten aufgehängt – ich wollte nicht, dass alles umsonst ist. Und schau, es ist ja schon ziemlich viel da.
Stimmt. Aber es wiederholt sich. Mir fallen keine neuen Muster mehr ein. Und es gibt immer noch viel zu viel leeren Raum, das erscheint mir unausgewogen.
Du hast Recht. Auch das Spiel von Licht und Schatten wiederholt sich, es hat irgendwie nicht mehr viel Neues. Ich habe an so vielen Planeten und Sonnen gedreht – aber kaum höre ich auf, hängt alles einfach still und starr im Raum herum.
Es wäre faszinierend, wenn sich alles von allein drehen würde. Wie ein wunderbares Mobilé. Wir können ja doch nicht alles gleichzeitig drehen.
Eine grandiose Idee! Wir lassen alle Planeten sich von selbst drehen. Ich bin ganz aufgeregt. Das wird spannend. Gut, ich drehe hier los, schubse dort an…
Ein wenig drall nach links, ein Stoß nach vorn…
Nicht so schlecht!
Gar nicht übel! Jetzt kommt Schwung hinein! Weiter…
Und hepp, und hepp, und hepp…
Was war das?
Es hat geknallt.
Einige Planeten sind kollidiert.
Egal, machen wir weiter.
Ich bin nicht zufrieden. Obwohl wir vieles in Bewegung gesetzt haben, ist es einfach nur ein wüstes Durcheinander. Ich hatte es mir viel schöner vorgestellt.
Langsam weiß ich nicht mehr weiter. Wir haben so viele Planeten erzeugt, aber so ist es nicht schön anzusehen. Es ist einfach nur wirr. Es hat nichts Elegantes. Die Bewegungen sind völlig unkoordiniert.
Wir müssen wirklich das Gesamtkonzept überdenken. So kann es jedenfalls nicht bleiben.
Allerdings nicht. Ich hätte gerne, dass die Planeten umeinander kreisen. Und es wäre auch lustig, wenn ein Stern viele Planeten beleuchten könnte.
Ich finde auch, es müsste insgesamt tänzerischer wirken. Es braucht eine Choreographie.
Ich drehe mal einige Planeten umeinander.
Schon ganz hübsch…
Verdammt! Es hat nicht funktioniert. Sie sind wieder kollidiert.
Es fehlt noch etwas Wichtiges, aber was ist es…
Wir bräuchten irgendeine Kraft, die alles von selber auf Abstand hält…
…und gleichzeitig die Dinge in Bewegung lässt!
Der Planeten-Tanz muss ausgewogen sein, weder dürfen sie ständig zusammenstoßen, noch dürfen sie sich verlieren.
Ja, das ist es, jetzt haben wir es: sie müssen sich anziehen, aber es muss sich genau die Waage halten mit einer zweiten Kraft in die andere Richtung.
Die Drehung und das Herumwirbeln müssten nach außen ziehen, während die Materie selbst sich anzieht…
Je größer ein Planet, desto mehr zieht er an – und je näher er dran ist…
Fantastisch. So kommen wir weiter. Versuchen wir es.
Nicht schlecht! Ich konnte einige Planeten dazu bringen, auf diese Weise zu rotieren. Wie schön das ist. Die neuen Kräfte wirken Wunder.
Das übertrifft nochmal alles bisher von uns erdachte.
Es hat mich allerdings viel Zeit gekostet, nur die paar Planeten in ein einigermaßen gutes Gleichgewicht zu bringen. Und alle anderen Planeten hängen entweder starr oder kommen mir in die Quere…
Es wäre schön, wenn sich alles gleichzeitig bewegen würde, nicht wahr?
Wir haben außerdem immer noch das Problem, dass nicht der ganze Raum gefüllt ist. Es kann nicht sein, dass wir bis ans Ende der Zeit alles einzeln mit Materie bestücken.
Irgendwie fehlt uns noch der Clou, wenn du mich fragst.
Es müsste sich eben selber verteilen – die Materie müsste bis in die letzten Winkel fliegen, und alle Planeten müssten dabei in Bewegung versetzt werden…
…und am besten hätten wir damit nur einmal Arbeit und könnten uns danach aufs Zusehen konzentrieren. Das mit dem bis in die letzten Winkel scheint mir ein guter Gedanke. Lass uns da mal weiter denken…
Wir machen einfach eine große Explosion und schleudern alles weit hinaus, bis es sich von selber überall hin verteilt…
Die neue Anziehungskraft könnte uns sogar helfen, dass sich Materie selber zusammenballt zu Planeten. Das wäre überhaupt das Beste.
Sollen wir das mal probieren?
Klar, ist einen Versuch wert. Wir sammeln alles Bisherige ein, und gehen nochmal auf Los.
Ich bin total aufgeregt – wir können quasi unendlich viel Materie auf einen Punkt verdichten, und dann lassen wir es explodieren…
Das Ergebnis ist unglaublich.
Ich hätte es mir fast nicht vorstellen können.
Ich kann es nicht in Worte fassen.
Sieh nur, wie alles seinen Weg findet, wie sich hie und da Planeten formen, wie sie zusammen Formationen bilden und durch unseren Raum driften…
Spiralen, Nebel, Lichter, alles da.
Sie fliegen durcheinander, bilden neue Konstellationen – es ist großartig.
Ich kann mich kaum satt sehen.
Ja, lass uns einfach nur zusehen.
Ich glaube, ich werde es immer unglaublich schön finden. Eigentlich perfekt. Aber mir kommt da ein Einfall.
Lass hören.
Wir könnten ja auf einem der Planeten mal was anders machen.
Und was?
Ich stelle mir etwas vor, das anders ist als einzelne Körnchen aus Materie. Etwas, das verbundener ist, und sich trotzdem noch irgendwie flexibel verhält. Etwas Neues, dass – die Oberfläche belebt.
Klingt spannend. Ich stelle es mir schillernd vor. Lass es uns versuchen.
NICHT schlecht! Sieht gut aus. Verhält sich neuartig. Wie nennen wir es?
Wasser fände ich schön.
Ach ja, weißt du, jetzt sind wir hier bis in alle Ewigkeit und sehen dem Spiel der Planeten zu. So allmählich hätte ich wieder Lust auf etwas Neues.
Denkst du denn, es gibt noch etwas jenseits von dem, was wir schon geschaffen haben?
Das hängt doch nur von uns ab.
Da hast du Recht – was wir uns vorstellen können, wird es geben. Ich finde es allerdings schwierig, sich noch Besseres vorzustellen, als das, was wir schon haben. Alles scheint ganz gut im Gleichgewicht.
Ewiges Gleichgewicht könnte langweilig werden.
Auch wieder wahr. Hm. Vielleicht machen wir es wieder nach dem altbewährten Prinzip. Wir nehmen ein paar einfache grundlegende Bausteine und Naturgesetze und sehen zu, was draus wird.
Ja, nicht schlecht. Was hältst du von folgendem Gedanken: Eine kleine Einheit Materie, die sich vielleicht von selber bewegen kann.
Von selber bewegen? Interessant. Das bringt doch wieder Spannung in die Sache. Und wie weit kann sie sich bewegen?
Erst mal nicht so weit, würde ich sagen. Vielleicht geben wir ihr die Fähigkeit, weitere Einheiten zu erzeugen.
Oha. Schöpferische Kraft? Ein recht bedeutender Schritt…
Aber das Gleichgewicht muss gewahrt sein. Irgendwann müssen die Einheiten wieder verschwinden. Nach einiger Zeit und nachdem sie weitere Einheiten geschaffen haben vielleicht. Dann entsteht was Eigenes, Unabhängiges.
Da fällt mir noch was ein: bauen wir doch einen Zufallsgenerator ein. Dann und wann ändert sich eine Kleinigkeit in der Einheit. Und wir schauen mal, was dabei raus kommt.
Gute Idee. Und ich sage mal, wir lassen sie im Wasser starten. Und fangen deshalb mit unserem Wasserplaneten an.
Na, sehr beeindruckend ist das ja noch nicht. Jetzt haben wir sicher schon Ewigkeiten abgewartet, und deine Einheiten sind gerade mal kleine Gebilde im Wasser. Sehen fast aus wie Felsblöcke. Und auch nur sehr viele von ihnen zusammen.
Tja nun, so recht viel hatten wir ihnen ja auch noch nicht mit gegeben. Immerhin – sie wachsen. Wie nennen wir sie?
Abwechselnd jeder eine Silbe, ich fang an: Stro..
..ma…
…to…
…lith.
Stromatolith? Komischer Name, aber bitte.
Lass uns dem ganzen mal einen kleinen Schub geben. Lassen wir doch ein Ding aus mehreren kleinen Einheiten bestehen. Ich stelle es mir so vor, dass sich mehrere Einheiten zusammentun können, damit etwas Größeres entsteht.
Einverstanden. Aber dann will ich auch einen neuen Namen dafür: „Leben“.
Ich bin, muss ich mal nach all der Zeit sagen, wirklich beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht, dass das bei dem kleinen Experiment heraus kommt. Deine lebenden „Vielzeller“, wie du sie nennst, haben wirklich Enormes geschafft. Und das nur durch Vermehrung und kleine Veränderungen –
Und es war immer spannend, zuzusehen.
Das kann man wohl sagen. Und sieh es dir jetzt mal an. Es gibt großes Leben und kleines, manches läuft, manches fliegt. Die meisten Beweger legen Eier. Sie fressen sich gegenseitig. Aber alles ist in einem großen Gleichgewicht. Und dann das viele Leben, das ich „Pflanzen“ genannt habe – das sind ja meine eigentlichen Lieblinge.
Das mit dem Sauerstoff war auch eine tolle Idee.
Ja, das haben wir gut gemacht. Aber mir ist es schon wieder ein bisschen viel Gleichgewicht, es hat lange keine größeren Veränderungen gegeben.
Dass du immer nach einer Zeit Langeweile mit dem Gleichgewicht hast – man kann doch so entspannt zusehen.
Aber dir ist doch auch schon aufgefallen, dass einige der Beweger keine Eier legen. Was wäre wenn…
Wenn?
Wenn die jetzt mal die Oberhand gewinnen würden.
Wie sollte das gehen? Über lange Zeit hat sich das weiter entwickelt, was Erfolg hatte… wer weiß, ob die Nicht-Eierleger auch ein Erfolgsmodell sind.
Ok, ich habe eine Idee: wir speichern einfach die ganzen Eierleger und Pflanzen auf einem anderen Planeten. Und auf unserem ersten Wasserplaneten werde ich jetzt für eine Veränderung sorgen.
Was schwebt dir da so vor?
Ich denke, ich lasse es ein wenig krachen. Leider wird einiges dabei untergehen, aber ich bin schon gespannt, wie es danach weiter geht…
Siehst du, die Nicht-Eierleger haben es geschafft. Aber auch ein paar Eierleger sind übrig geblieben. Ich finde die neue Mischung ganz gut.
Ja, nicht schlecht. Was machen wir als nächstes?
Gute Frage. Nach all der Arbeit fände ich es ganz nett, wenn wenigstens ein Teil von unserem Leben uns danke sagen könnte.
Hey, das sind ja ganz neue Gedanken. Sie könnten auch einige unserer Wortschöpfungen übernehmen.
Das gefällt mir. Wir brauchen wieder etwas Neues: das Leben sollte sich seiner selbst bewusst werden.
Alle auf einmal?
Nein, ich suche mir eine Sorte aus.
Ich muss uns auf die Schulter klopfen. Es hat ziemlich gut funktioniert.
Nicht übel, wirklich nicht übel. Und sogar Namen haben wir inzwischen mehr als genug bekommen, ich kann jeden Tag einen anderen verwenden.
„Tag“ ist auch so ein Konzept, dass wir unserem Leben und dessen Wahrnehmung verdanken. Schon interessant, was dabei so alles heraus kommt.
Interessant finde ich, dass sie sich jetzt selbst ihre Lebensbedingungen verschlechtern – ich sehe mehrere interessante Möglichkeiten…
Entweder, sie lernen dazu.
Oder sie erreichen einen anderen Planeten, bevor es auf diesem zu ungemütlich für sie wird.
Oder sie packen es nicht und die Eierleger kommen zurück.
Oder es kommt wieder etwas Neues, Anderes.
Auf jeden Fall bleibt es erst mal spannend.
Und falls es irgendwann doch wieder langweilig wird?
Das wird noch eine Weile dauern. Aber notfalls lass ich es eben nochmal krachen…
Recht am Text: Anja Teuner. Keine Veröffentlichung oder Kopie ohne meine Zustimmung.
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